Leuchtende Lyrik #12

Wie wenig nütze ich bin,
ich hebe den Finger und hinterlasse
nicht den kleinsten Strich
in der Luft.

Die Zeit verwischt mein Gesicht,
sie hat schon begonnen.
Hinter meinen Schritten im Staub
wäscht der Regen die Straße blank
wie eine Hausfrau.

Ich war hier.
Ich gehe vorüber
ohne Spur.
Die Ulmen am Weg
winken mir zu wie ich komme,
grün blau goldener Gruß,
und vergessen mich,
eh ich vorbei bin.

Ich gehe vorüber –
aber ich lasse vielleicht
den kleinen Ton meiner Stimme,
mein Lachen und meine Tränen
und auch den Gruß der Bäume im Abend
auf einem Stückchen Papier.

Und im Vorbeigehn,
ganz absichtslos,
zünde ich die ein oder andere
Laterne an
in den Herzen am Wegrand.

Hilde Domin (1909 bis 2006)

Hilde Domin war eine deutsche, jüdische Lyrikerin und wurde berühmt durch ihre ungereimten Gedichte.

Sie ist 1934 zum Studium nach Italien gegangen und 1938 nach Großbritannien und später in die Dominikanische Republik geflohen, um Hitlers Judenverfolgung zu entgehen. Nach 22 Jahren Exil kehrte sie 1954 nach Deutschland zurück.

Ich mag ihre Gedichte sehr gern. Sie sind voller Emotionen und Tiefe und haben mich schon sehr früh berührt.

2 Kommentare zu „Leuchtende Lyrik #12

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